Tod eines Säuglings infolge nicht erkannter Lungenerkrankung (BPD, Bronchopulmonale Dysplasie)? (2015)

Eine Kinderklinik wurde angeklagt, für den häuslichen Tod eines Säuglings verantwortlich zu sein, da eine Bronchopulmonale Dysplasie und Hospitalinfektionen der Lunge nicht erkannt worden seien.

Das Gericht urteilte, dass keine Behandlungsfehler vorgelegen haben und dass auch keine Hygienefehler nachweisbar waren, nachdem gutachterlich folgende Befunde erfasst und eingeschätzt wurden:

Definitionsgemäß lag keine Bronchopulmonale Dysplasie vor, da keine Beatmung und nur eine einmalige kurzzeitige Sauerstoffgabe erfolgt sind sowie da in bzw. ab der „36. Schwangerschaftswoche“ (= 2. Lebenswoche des frühgeborenen Kindes) keine Sauerstoffgabe erfolgte und auch nicht indiziert war.

Autoptisch wurden zwar umschriebene zystische Lungenfehlbildungen gefunden, die sich insbesondere im Bereich der Oberfelder der Lunge befanden. Aus gutachterlicher Sicht waren diese Zysten im Vergleich zu publizierten Fallserien mit umschriebenen zystischen Lungenfehlbildungen nicht als Todesursache zu bewerten. Zu keinem Zeitpunkt bestand während des Aufenthaltes in der Kinderklinik … eine Indikation zur Thorax-Röntgendiagnostik, so dass es sich um einen autoptisch erfassten Zufallsbefund ohne wesentliche klinische Relevanz handelte.

Für eine Lungenentzündung gab es im Ergebnis der rechtsmedizinischen Untersuchung keinen Anhalt. Die postmortalen Bakteriennachweise in der Lunge und in den Bronchien sind als bakterielle Besiedlungen zu betrachten, die entsprechend der autoptischen Befunde nicht zur Pneumonie geführt haben.

Aus gutachterlicher Sicht kann deshalb beim plötzlichen Tod dieses Kindes mit überwiegender Wahrscheinlichkeit von einem plötzlichen Kindstod (SIDS) ausgegangen werden. Dafür sprechen

– der Ereigniszeitpunkt bzgl. des Lebensalters (2. Monat = Häufigkeitsgipfel SIDS) und

– die Tageszeit des Ereignisses (die meisten SIDS-Fälle erfolgen nachts und im Schlaf),

– der Blutaustritt aus der Nase, die akut geplatzten Blutgefäße in der Lunge und das hämorrhagische Ödem in der Lunge (alle drei Befunde werden gemäß Sperhake 2014* als Folge der leider vergeblichen Atemanstrengungen in der Sterbephase aufgefasst)

– sowie insbesondere auch die rechtsmedizinisch beschriebenen petechialen Blutungen im Bereich des Herzbeutels und der Pleura.

Die petechialen Blutungen im Bereich der Augenbindehäute und im Bereich der Schleimhaut des Unterkiefers sind am ehesten als Reanimationsfolge zu bewerten, da äußere Gewalteinwirkungen aus der Sicht der Rechtsmediziner aus der Univ. … ausgeschlossen wurden.

Da aus gutachterlicher Sicht keine nachvollziehbare organische Todesursache nachgewiesen wurde sowie da aus rechtsmedizinischer und staatsanwaltlicher Sicht keine Hinweise für eine Straftat gefunden wurden, werden aus gutachterlicher Sicht die Kriterien für die Ausschlussdiagnose SIDS erfüllt.

* Literaturnachweis: Sperhake JP, Kleemann WJ, Rognum TO: Untersuchung der Auffindesituation und Obduktion. In: Kurz/ Kenner/ Poets/Kerbl/Vennemann/Jorch: Der plötzliche Säuglingstod. Grundlagen, Risikofaktoren, Prävention, Elternberatung. Springer-Verlag Wien Heidelberg, 2014, 2. Auflage, Seiten 35-60.

Schütteltrauma? Freispruch des Vaters des Kindes (2020)

Dem Vater eines zwei Monate alten Säuglings wurde vorgeworfen, ein Schütteltrauma verursacht zu haben, da Krämpfe, Retinablutungen und schmale Subduralhämatome erfasst wurden. Zusätzlich hätten axonale zerebrale Schäden vorgelegen.

Im Rahmen der gutachterlichen Würdigung aller verfügbaren Unterlagen fanden sich folgende ergänzenden Befunde:

Wenige Stunden vor dem akuten Ereignis im Sinne einer hypoton-hyporesponsiven Episode (HHE) erfolgte bei bereits länger bekannter Nabelinfektion mit vermehrten inguinalen Lymphknoten eine Mehrfachimpfung. Bei der Lumbalpunktion wurden im Liquor Knochenmarkzellen nachgewiesen, was auf eine iatrogene Knochen-Verletzung hinweist, die akut zu heftigen Schmerzen und heftigem Schreien des Kindes geführt haben dürfte. Im Schädel-CT fanden sich erst danach Hinweise für schmale Subduralhämatome. Reversible Retinablutungen und ein Faktor-XIII-Mangel wurden erst im weiteren Verlauf erfasst. Apnoen wurden zu keinem Zeitpunkt dokumentiert. Ein- oder mehrzeitige Knochenfrakturen lagen nicht vor. Der Vater des Kindes wird als ruhiger und geduldiger Altenpfleger beschrieben. Beide Eltern und die Großeltern sind gemeinsam kontinuierlich um das Kind bemüht, auch bereits vor dem akuten Ereignis.

Im vorliegenden Fall wird der Verdacht auf ein Schütteltrauma durch mehrere Merkmale nicht gestützt: Impfung bei Nabelinfektion mit inguinalen Lymphkonten, hypoton-hyporesponsive Episode (HHE), Faktor XIII-Mangel, Hinweise für knöcherne Verletzung eines Wirbelkörpers durch die Lumbalpunktion, keine Hinweise für das akute Auftreten von Apnoen, psychisch stabil wirkende und um das Kind bemühte Familie. Ein weiterer Gutachter kam ohne Kenntnis der Nabelinfektion zu dem Ergebnis, dass nach der Mehrfachimpfung ein HHE angenommen werden kann sowie dass die WHO-Kriterien für eine Impfkomplikation erfüllt wären. Axonale Schäden und reifungsbedingte altersphysiologische schwache Myelinisierung können mittels MRT im Alter von zwei Monaten nicht unterschieden werden.

Aus pädiatrisch-gutachterlicher Sicht waren die vorliegenden Befunde auch ohne Gewalteinwirkung plausibel.

Das Gericht urteilte auf Freispruch, da kein Vorsatz erkennbar war. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig wirksam, da die Staatsanwaltschaft Revision beantragte.

Fazit: Der Verdacht auf Kindesmisshandlung in Form eines Schütteltraumas zieht umfassende juristische und soziale Konsequenzen nach sich. Der Verdacht sollte erst geäußert werden, wenn die Anamnese und der zeitliche Ablauf im Detail analysiert wurden sowie nachdem in Bezug auf Retina- und Subduralblutungen alle bekannten Ursachen mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit differenzialdiagnostisch ausgeschlossen wurden. Apnoen stellen einen führenden Risikofaktor für ein Schütteltrauma dar, müssen aber ebenfalls differenzialdiagnostisch abgeklärt werden, da auch hier eine ganze Reihe anderer Ursachen in Betracht kommen können. Das Fehlen von Apnoen kann ein bedeutsamer Hinweis auf das Nichtvorliegen eines Schütteltrauma sein. Die Trias aus Retinablutung, Subduralhämatom und Enzephalopathie kann nicht als Beweis für Schütteltrauma gelten, solange diese Befunde nicht umfassend differenzialdiagnostisch abgeklärt worden sind. Bei einem zwei Monate alten Säugling können zerebrale axonale Schäden mittels MRT nicht von altersphysiologisch noch unzureichender Myelinisierung unterschieden werden, so dass diese Merkmale in dieser Altersgruppe nicht zur Einschätzung des Sachverhaltes beitragen können.

Ausführliche Darstellung mit Literaturhinweisen siehe: https://www.researchgate.net/publication/340438438_Apnoe_als_Pradiktor_fur_Schutteltrauma_ST )

Stationäre Diagnostik bei kindlichem Wachstumshormonmangel? (2019)

Im Rahmen einer gerichtlichen Auseinandersetzung war zu klären, ob stationäre Diagnostik bei einem Kind mit hypophysärem Minderwuchs indiziert war und ob die Krankenkasse die stationären Kosten ohne Abzüge zu zahlen hatte oder nicht. Das Gericht beauftragte ein pädiatrisches Gutachten, das zu folgendem Ergebnis gekommen ist:

„Im vorliegenden Fall ging es nicht nur um die Abklärung eines „einfachen“, d.h. isolierten hypophysären Minderwuchses, sondern es wurde ein Kind mit morphologisch im MRT fassbaren Fehlbildungen und Größenabweichungen der Hypophyse aufgenommen, bei dem zusätzlich Untergewicht, aktuelle Probleme mit der oralen Nahrungsaufnahme, Erbrechen im Säuglingsalter, Sehstörungen, neurologische okuläre Auffälligkeiten (Horizontalnystagmus und Schielen) sowie ein akuter Atemwegsinfekt vorgelegen haben. Da ein Teil der Hypophyse ektop liegt und ein anderer Teil als klein beschrieben wurde, mussten von vornherein mehr hormonelle Abklärungen erfolgen als bei Kindern ohne diese Fehlbildungen und Auffälligkeiten. Aufgrund des Untergewichts, der Probleme mit der Nahrungsaufnahme und der okulären neurologischen Symptome musste damit gerechnet werden, dass Nebenwirkungen der Stimulationsteste mit Clonidin und Arginin mit einer größeren Wahrscheinlichkeit und mit größerer Intensität auftreten als dies bei Kindern ohne diese Zusatzbefunde der Fall ist.“

Mit Bezug auf aktuelle Leitlinien, Lehrbücher und Publikationen konnte gutachterlich bestätigt werden, dass nachvollziehbare Gründe für die Notwendigkeit der stationären Diagnostik vorgelegen haben.

Entscheidungen SG Dresden

Urteil SG Dresden v. 18.03.2014

Durchsetzung GdB 50 bei OP.-Schäden nach Brustkrebs-OP., sekundären chronischen Rückenschmerzen infolge von Narbenzügen nach Latissimus-dorsi-Plastik und reaktiver Depression

Vorgeschichte

Frau Meier (Name geändert) sieht schon immer schlecht. Zu der Kurzsichtigkeit (Myopie) kommen weitere Sehbeschwerden mit Schlieren vor den Augen hinzu. Der Augenarzt stellt Glaskörpereinblutungen und eine poröse Netzhaut mit beginnenden Netzhautablösungen fest. Bzgl. der Myopie wird ihr von den Augenärzten zuerst von einer Laserbehandlung abgeraten, dann wird der Eingriff doch durchgeführt. Seitdem sind die Augen trocken und schmerzhaft. Die Sehbeschwerden verstärken sich, so dass am Augenhintergrund ein Ring zur Befestigung der Netzhaut eingelegt wird (Zerklage).

Einige Monate danach wird eine knapp tennisballgrosse Schwellung im Bereich der linken Leistenbeuge festgestellt. Histologisch findet sich Lymphdrüsenkrebs (Non-Hodgkin-Lymphom), der mittels Bestrahlung behandelt wird. Die Bestrahlung bezieht sich auf den Unterleib, auf den Hals und auf den oberen Bereich des Brustkorbs.

Etliche Monate später diagnostizieren die behandelnden Frauenärzte an der rechten Brust einen Tumor. Es handelt sich um eine Krebs-Vorstufe (DCIS).

Der Operateur empfiehlt, dass die rechte Brust entfernt werden soll und dass in der gleichen OP. eine Aufbauplastik hergestellt werden soll indem Rückenmuskeln nach vorn gezogen werden (sogen. Latissimus-dorsi-Plastik).

Im Schnellschnitt während der OP. findet sich kein bösartiges und kein krankhaftes Gewebe. Dennoch werden die Total-OP. und die Plastik durchgeführt. Einige Tage nach der OP. trifft der abschließende histologische Befund ein, in dem festgestellt wird, dass doch DCIS-Gewebe gefunden wurde und dass der Abstand des Schnittrandes zwischen DCIS-Gewebe und gesundem Gewebe nur 1mm beträgt.

In der S3-AWMF-Leitlinie zur Behandlung des Brustkrebses v. Juli 2012 wird aufgrund des fehlenden Überlebensvorteils und der Einschränkung für die Lebensqualität bei günstiger Relation zwischen Ausdehnung der Läsion und der Brustgröße ein brusterhaltendes OP.-Verfahren empfohlen (Seite 69). Dabei wird eine segmental ausgerichtete Resektion empfohlen (ebda.). Weiterhin ist vorgesehen, dass mindestens 2mm im Gesunden geschnitten werden soll (Evidengrad 2b; Seite 70): Interdisziplinäre S3-Leitlinie für die Diagnostik, Therapie und Nachsorge des Mammakarzinoms. AWMF Reg. Nr. 032-045OL, Langversion 3.0, Aktualisierung 2012.

Das Landratsamt teilte Frau Meier nach einiger Zeit mit, dass jetzt die Heilungsbewährung eingetreten sei, so dass der bisherige Grad der Behinderung (GdB) von 70 nicht mehr ausgewiesen sei.

Frau beschwerte sich erfolglos und machte deshalb per Klage geltend, dass die Brustplastik nicht geglückt sei und zu schwerwiegenden chronischen Schmerzen geführt hat. Die Bestrahlung habe zu rezidivierenden Erschöpfungszuständen geführt (Fatique-Syndrom). Inzwischen sei auch noch eine Depression hinzugekommen.

Das Landratsamt teilte nach zweimaliger Befragung seines Ärztlichen Dienstes mit, dass dafür keine Grundlage bestünde, so dass ein GdB von nunmehr 50 nicht gerechtfertigt sei. Der Kommunale Sozialverband als Widerspruchsbehörde wies den Widerspruch ebenfalls zurück.

Im Oktober 2012 beantragte Frau Meier über ihren Anwalt, einen Gutachter nach § 109 SGG einzusetzen. Das Gericht fragte mit Posteingang v. 04.06.2013 beim Gutachter an. Der Gutachter berichtete dem Richter am 10.06.2013 nach erster Sichtung von 294 Seiten der Gerichtsakte, dass eine fachübergreifende Begutachtung erforderlich sei, in die mehrere Organsysteme einbezogen werden. Nach Zusage des Richters v. 05.09.2013 und Untersuchung der Klägerin am 20.10.2013 konnte am 24.10.2013 ein Gutachten vorgelegt werden.

Gutachten

Gutachterlich konnten mehrere Befunde der behandelnden Frauenärztin, von Chirurgen, Radiologen und Physiotherapeuten vorgelegt werden, die schwerwiegende chronische Schmerzen im Bereich des Rückens bestätigten. Die fehlgeschlagene plastische OP. hat am Rücken eine lange Narbe hinterlassen, die von der Mitte des Rückens oben nach außen rechts bis in den Lendenbereich verläuft. Die Narbe ist deutlich druck- und berührungsempfindlich. Unterhalb und oberhalb der Narbe ist es zu deutlichen Schwelllungen und zu einem deutlichen Muskelhartspann gekommen. Im Bereich der Wirbelsäule sind Achsenabweichungen, Bandscheibenvorfälle und Bestrahlungsfolgen nachweisbar und der rechte Arm konnte zeitweilig gar nicht angehoben werden. Jetzt ist die Bewegung des rechten Armes mit Schmerzen verbunden. Trotz der ständigen Verordnung von Schmerzmitteln und regelmäßiger intensiver Physiotherapie sowie nach einer Reha-Kur konnte kein schmerzfreier Zustand erreicht werden.

gutachten2014 Schmerzhafter Narbenzug am Rücken mit sekundärem Muskelhartspann nach Latissimus-dorsi-Plastik, mit der eine plastische Rekonstruktion der rechten Brust versucht worden war.

Die Augenschmerzen konnten durch bisherige Behandlungen mit Augentropfen nicht beeinflusst werden. Gutachterlich wurde darauf hingewiesen, dass trockene Augen nach Laser-OP. der Hornhaut des Auges eine bekannte Komplikation darstellen (Fuchsluger A et al.: Neurotrophe Keratopathie – Ein Fallbeispiel nach LASIK. Klin Monatsbl Augenheilkd 2005, 222 (11): 901-904. Nettune GR: The Ocular Surface. July 2010, 8/3: 135-145 in: Eberle M: http://www.das-trockene-auge.info/2010/12/lasik-und-das-trockene-auge-html ).

Die behandelnden Psychologen bestätigten auf der Grundlage der aktuellen Beschwerden sowie auf Grund entsprechender Fragebögen eine Depression mit psychologischem und medikamentösem Behandlungsbedarf.

Urteil

Im Urteil vom 18. März 2014 wurde festgestellt, dass der Klägerin ein GdB von 50 zusteht, ab dem Zeitpunkt, ab dem durch den Gutachter mehrere Konsultationen bei Psychologen nachgewiesen werden konnten.

In der Begründung des Urteils heißt es:

„Die Klage ist im tenorierten Umfang begründet, da die Klägerin aufgrund der bei ihr vorliegenden Gesundheitsstörungen und der damit verbundenen Gesundheitsstörungen und der damit verbundenen Einschränkungen der Teilhabe am Leben der Gesellschaft ab … Anspruch auf Feststellung eines GbB von 50 hat.“

„Im Übrigen ist die Verpflichtungsklage entscheidungsreif und dient der endgültigen Streitbeilegung, so dass die Verpflichtungsklage ohnehin statthaft ist (BSG, Urt. v. 15.08.1996 – 9 RVs 10/94, zitiert nach juris).“

„Die Kammer hat insoweit keinen Anlass zum Zweifel an den gutachterlichen Ausführungen. An der medizinischen Fachkunde sowie der Unparteilichkeit des Sachverständigen bestehen für die Kammer ebenfalls keine Zweifel. Die Gutachten wurden in vollem Umfang, insbesondere hinsichtlich der Befunderhebung, der würdigenden Bewertung der Vorgeschichte und der erhobenen Befunde, sowie der Beurteilung der vorgetragenen Beschwerden sorgfältig und sachkundig erstellt, und somit für überzeugend befunden. Die Gutachten sind insoweit standardgemäß und objektiv unter Anwendung der medizinischen Diagnosen erhoben und weisen keine Logik- oder Denkfehler auf.“

„Der Verlust der rechten Brust mit der entsprechenden Aufbauplastik ist mit einem GbB von 30 zu bewerten, wobei der Sachverständige zur Überzeugung der Kammer durch die Formulierung „mindestens 30“ fetsgestellt hat, dass sich diese Beeinträchtigungen an der Schwelle zu einem GdB von 40 befinden.“

Gemäss Ziffer 14.1 des Teils B der Anlage zu § 2 VersMedV sei hierfür zwar ein GdB von 10-20 vorgesehen. „Funktionseinschränkungen im Schultergürtel, des Armes oder der Wirbelsäule als Operations- oder Bestrahlungsfolgen (z.B. Lymphödem, Muskeldefekte, Nervenläsionen, Fehlhaltung) sind hierbei jedoch ausdrücklich zusätzlich zu berücksichtigen.“

„Neben den ästhetischen Beeinträchtigungen erlangen an dieser Stelle GdB-erhöhend Beeinträchtigungen der Beweglichkeit und der nervlichen Empfindsamkeit Bedeutung. Bereits aufgrund des asymmetrischen Operationsergebnisses ist der vorgegebene GdB-Rahmen auszuschöpfen und in Bezug auf die dargelegten Bewegungseinschränkungen, Schmerzen und die Vernarbungserscheinungen zu erhöhen.“

„Die Funktionseinschränkungen im Funktionssystem Gehirn einschließlich Psyche sind mit einem GdB von 30 ab … zu bewerten, wie der Sachverständige zur Überzeugung der Kammer ausgeführt hat. Ab diesem Zeitpunkt wurde regelmäßig entsprechende ärztliche Behandlung aufgesucht.“

Die Beeinträchtigungen infolge der Brustoperation und zusätzlicher Beeinträchtigungen im Bereich des Unterleibs (die im Gutachten und im Urteil im Detail genauer dargestellt und bewertet wurden) „betreffen das Funktionssystem Geschlechtsapparat, das jedenfalls unter Berücksichtigung des GdB von 30 an der Schwelle zu 40 für den Verlust der rechten Brust mit den zahlreichen begleitenden Beeinträchtigungen und einem weiteren Leiden für sich betrachtet bereits mit einem GdB von 40 zu bewerten ist. Durch die ab … nachgewiesenen Beeinträchtigungen des Funktionssystems Gehirn einschließlich Psyche wird ein Gesamt-GdB von 50 erreicht.“

Das Fatique-Syndrom neben den depressiven Beschwerden und die schmerzhaften Bewegungseinschränkungen allgemein und des Schultergürtels würden keine eigenständige Teilhabebeschränkung darstellen. Die Sehbeeinträchtigungen führten lediglich zu einem GdB von 10, der sich nicht erhöhend auf den Gesamt-GdB auswirkt, zumal die VersMedV beim Funktionssystem Augen keine Teilhabebeeinträchtigung infolge von Bindehauttrockenhaut vorsehen würde.-

Zusammenfassung

Frau Meiers Hartnäckigkeit hat sich gelohnt. Mit anwaltlicher, gutachterlicher und gerichtlicher Unterstützung konnte sie den angestrebten GdB durchsetzen. In weiteren Verfahren zu klären, ob Behandlungsfehler vorgelegen haben, hat sie nach diesem langen Verfahren keine Kondition. Ob noch eine Operation im Bereich der schmerzhaften Narbenzüge am Rücken erforderlich wird, bleibt offen.

Pflicht der Krankenkasse, die Kosten für eine Sehhilfe zu übernehmen: SG Dresden Urteil v. 23.11.2011, Az.: S18 KR 597/08 (Quelle: Anlage 2 zur Presseinformation SG Dresden v. 24.02.2012)

Übernahme der Kosten für die Neubeschaffung eines Elektrorollstuhls durch die Krankenkasse: SG Dresden Urteil v. 31.08.2011, Az.: S 18 KR 312/09 (Quelle: ebda.)

Grundsatz der optimalen und nicht nur der wirtschaftlichen Rehabilitation im Unfallversicherungsrecht (im Ergebnis der medizinischen Begutachtung sind deutliche Vorteile durch eine modernere Oberarmprothese zu erwarten, so dass die beklagte Berufsgenossenschaft verurteilt wurde, die modernere Prothese zu finanzieren): Gerichtsbescheid SG Dresden v. 28.03.2011, Az.: S5 U 267/07 (Quelle: ebda.)

Die Finanzierung der behindertengerechten Ausstattung eines Arbeitsplatzes ist vorrangig Aufgabe des Rehabilitationsträgers. Der Anspruch schwerbehinderter Menschen gegenüber ihrem Arbeitgeber ist demgegenüber nachrangig: SG Dresden Urteil v. 28.02.2011, Az.: S 24 KN 625/09 (Quelle: ebda.)

Auszug Beschluss LG Köln v. 20.02.2013

Sechs Ärzten bzw. Kliniken werden in Bezug auf einen Patienten „fehlerhafte Behandlung“, „schwere Gesundheitsschäden“ und „dauerhaft traumatisierte Angehörige“ vorgeworfen.

Das Gericht kommt zu der Auffassung, dass den Ärzten und Klinken Behandlungsfehler nicht vorzuwerfen sind, da der Sachverständige der Kläger seine bisherige „Wertung nicht aufrechterhalten (hat) und sich der Auffassung des Sachverständigen … angeschlossen (hat), die Behandlung sei lege artis erfolgt. Das Gericht kommt daraufhin zu dem Ergebnis, „die Verdachtsdiagnose auf … könne aufgrund der Behandlungsunterlagen nicht sicher bestätigt werden.“

Die Auflistung aller schriftlich dokumentierten Befunde und deren Verbindung mit den zum Behandlungszeitpunkt gängigen Lehrbuchmeinungen und Studienergebnissen führte dazu, dass der Gutachter der Kläger seine Auffassung grundlegend revidierte und die gutachterlich vorgetragenen aktuelleren Leitlinien, die durch klare Studienergebnisse begründet waren, in seiner eigenen Klinik zum Standard machte.

Hintergrund: Die Klage erfolgte auf der Grundlage der Behauptung einer Diagnose A, die durch Behandlungsfehler entstanden sei. Die gutachterliche Würdigung aller Behandlungsunterlagen zeigte aber, dass bisher über die falsche Diagnose verhandelt wurde, die gar nicht vorlag. Die gutachterlich benannte Diagnose B wurde durch einen gerichtlichen Sachverständigen voll und ganz bestätigt. Gleichzeitig wurde bestätigt, dass Diagnose A nicht vorgelegen hat, da sich z.B. Röntgenbefunde bei dieser Diagnose nicht so schnell wie hier vorliegend zurückbilden. Von einem Behandlungsfehler, der zu Diagnose A geführt haben sollte, war auch nicht auszugehen, da das zu fordernde Behandlungsverfahren seit dem Vorliegen neuer Studienergebnisse geändert wurde. Zum Behandlungszeitpunkt lagen diese Ergebnisse vor und waren bereits Bestandteil von Lehrbuchmeinungen geworden.

Das Verfahren zeigte deutlich, dass ein Gutachter durch die präzise Würdigung vorhandener Befunde in Verbindung mit klinischen Kenntnissen und aktuellen Recherchen in der Fachliteratur zu grundlegend anderen Ergebnissen als Vorgutachter kommen können. Das Gericht hatte „keine Bedenken, sich den plausiblen und in sich schlüssigen Bewertungen des Sachverständigen anzuschließen.“