Tod eines Säuglings infolge nicht erkannter Lungenerkrankung (BPD, Bronchopulmonale Dysplasie)? (2015)

Eine Kinderklinik wurde angeklagt, für den häuslichen Tod eines Säuglings verantwortlich zu sein, da eine Bronchopulmonale Dysplasie und Hospitalinfektionen der Lunge nicht erkannt worden seien.

Das Gericht urteilte, dass keine Behandlungsfehler vorgelegen haben und dass auch keine Hygienefehler nachweisbar waren, nachdem gutachterlich folgende Befunde erfasst und eingeschätzt wurden:

Definitionsgemäß lag keine Bronchopulmonale Dysplasie vor, da keine Beatmung und nur eine einmalige kurzzeitige Sauerstoffgabe erfolgt sind sowie da in bzw. ab der „36. Schwangerschaftswoche“ (= 2. Lebenswoche des frühgeborenen Kindes) keine Sauerstoffgabe erfolgte und auch nicht indiziert war.

Autoptisch wurden zwar umschriebene zystische Lungenfehlbildungen gefunden, die sich insbesondere im Bereich der Oberfelder der Lunge befanden. Aus gutachterlicher Sicht waren diese Zysten im Vergleich zu publizierten Fallserien mit umschriebenen zystischen Lungenfehlbildungen nicht als Todesursache zu bewerten. Zu keinem Zeitpunkt bestand während des Aufenthaltes in der Kinderklinik … eine Indikation zur Thorax-Röntgendiagnostik, so dass es sich um einen autoptisch erfassten Zufallsbefund ohne wesentliche klinische Relevanz handelte.

Für eine Lungenentzündung gab es im Ergebnis der rechtsmedizinischen Untersuchung keinen Anhalt. Die postmortalen Bakteriennachweise in der Lunge und in den Bronchien sind als bakterielle Besiedlungen zu betrachten, die entsprechend der autoptischen Befunde nicht zur Pneumonie geführt haben.

Aus gutachterlicher Sicht kann deshalb beim plötzlichen Tod dieses Kindes mit überwiegender Wahrscheinlichkeit von einem plötzlichen Kindstod (SIDS) ausgegangen werden. Dafür sprechen

– der Ereigniszeitpunkt bzgl. des Lebensalters (2. Monat = Häufigkeitsgipfel SIDS) und

– die Tageszeit des Ereignisses (die meisten SIDS-Fälle erfolgen nachts und im Schlaf),

– der Blutaustritt aus der Nase, die akut geplatzten Blutgefäße in der Lunge und das hämorrhagische Ödem in der Lunge (alle drei Befunde werden gemäß Sperhake 2014* als Folge der leider vergeblichen Atemanstrengungen in der Sterbephase aufgefasst)

– sowie insbesondere auch die rechtsmedizinisch beschriebenen petechialen Blutungen im Bereich des Herzbeutels und der Pleura.

Die petechialen Blutungen im Bereich der Augenbindehäute und im Bereich der Schleimhaut des Unterkiefers sind am ehesten als Reanimationsfolge zu bewerten, da äußere Gewalteinwirkungen aus der Sicht der Rechtsmediziner aus der Univ. … ausgeschlossen wurden.

Da aus gutachterlicher Sicht keine nachvollziehbare organische Todesursache nachgewiesen wurde sowie da aus rechtsmedizinischer und staatsanwaltlicher Sicht keine Hinweise für eine Straftat gefunden wurden, werden aus gutachterlicher Sicht die Kriterien für die Ausschlussdiagnose SIDS erfüllt.

* Literaturnachweis: Sperhake JP, Kleemann WJ, Rognum TO: Untersuchung der Auffindesituation und Obduktion. In: Kurz/ Kenner/ Poets/Kerbl/Vennemann/Jorch: Der plötzliche Säuglingstod. Grundlagen, Risikofaktoren, Prävention, Elternberatung. Springer-Verlag Wien Heidelberg, 2014, 2. Auflage, Seiten 35-60.

Schütteltrauma? Freispruch des Vaters des Kindes (2020)

Dem Vater eines zwei Monate alten Säuglings wurde vorgeworfen, ein Schütteltrauma verursacht zu haben, da Krämpfe, Retinablutungen und schmale Subduralhämatome erfasst wurden. Zusätzlich hätten axonale zerebrale Schäden vorgelegen.

Im Rahmen der gutachterlichen Würdigung aller verfügbaren Unterlagen fanden sich folgende ergänzenden Befunde:

Wenige Stunden vor dem akuten Ereignis im Sinne einer hypoton-hyporesponsiven Episode (HHE) erfolgte bei bereits länger bekannter Nabelinfektion mit vermehrten inguinalen Lymphknoten eine Mehrfachimpfung. Bei der Lumbalpunktion wurden im Liquor Knochenmarkzellen nachgewiesen, was auf eine iatrogene Knochen-Verletzung hinweist, die akut zu heftigen Schmerzen und heftigem Schreien des Kindes geführt haben dürfte. Im Schädel-CT fanden sich erst danach Hinweise für schmale Subduralhämatome. Reversible Retinablutungen und ein Faktor-XIII-Mangel wurden erst im weiteren Verlauf erfasst. Apnoen wurden zu keinem Zeitpunkt dokumentiert. Ein- oder mehrzeitige Knochenfrakturen lagen nicht vor. Der Vater des Kindes wird als ruhiger und geduldiger Altenpfleger beschrieben. Beide Eltern und die Großeltern sind gemeinsam kontinuierlich um das Kind bemüht, auch bereits vor dem akuten Ereignis.

Im vorliegenden Fall wird der Verdacht auf ein Schütteltrauma durch mehrere Merkmale nicht gestützt: Impfung bei Nabelinfektion mit inguinalen Lymphkonten, hypoton-hyporesponsive Episode (HHE), Faktor XIII-Mangel, Hinweise für knöcherne Verletzung eines Wirbelkörpers durch die Lumbalpunktion, keine Hinweise für das akute Auftreten von Apnoen, psychisch stabil wirkende und um das Kind bemühte Familie. Ein weiterer Gutachter kam ohne Kenntnis der Nabelinfektion zu dem Ergebnis, dass nach der Mehrfachimpfung ein HHE angenommen werden kann sowie dass die WHO-Kriterien für eine Impfkomplikation erfüllt wären. Axonale Schäden und reifungsbedingte altersphysiologische schwache Myelinisierung können mittels MRT im Alter von zwei Monaten nicht unterschieden werden.

Aus pädiatrisch-gutachterlicher Sicht waren die vorliegenden Befunde auch ohne Gewalteinwirkung plausibel.

Das Gericht urteilte auf Freispruch, da kein Vorsatz erkennbar war. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig wirksam, da die Staatsanwaltschaft Revision beantragte.

Fazit: Der Verdacht auf Kindesmisshandlung in Form eines Schütteltraumas zieht umfassende juristische und soziale Konsequenzen nach sich. Der Verdacht sollte erst geäußert werden, wenn die Anamnese und der zeitliche Ablauf im Detail analysiert wurden sowie nachdem in Bezug auf Retina- und Subduralblutungen alle bekannten Ursachen mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit differenzialdiagnostisch ausgeschlossen wurden. Apnoen stellen einen führenden Risikofaktor für ein Schütteltrauma dar, müssen aber ebenfalls differenzialdiagnostisch abgeklärt werden, da auch hier eine ganze Reihe anderer Ursachen in Betracht kommen können. Das Fehlen von Apnoen kann ein bedeutsamer Hinweis auf das Nichtvorliegen eines Schütteltrauma sein. Die Trias aus Retinablutung, Subduralhämatom und Enzephalopathie kann nicht als Beweis für Schütteltrauma gelten, solange diese Befunde nicht umfassend differenzialdiagnostisch abgeklärt worden sind. Bei einem zwei Monate alten Säugling können zerebrale axonale Schäden mittels MRT nicht von altersphysiologisch noch unzureichender Myelinisierung unterschieden werden, so dass diese Merkmale in dieser Altersgruppe nicht zur Einschätzung des Sachverhaltes beitragen können.

Ausführliche Darstellung mit Literaturhinweisen siehe: https://www.researchgate.net/publication/340438438_Apnoe_als_Pradiktor_fur_Schutteltrauma_ST )

Stationäre Diagnostik bei kindlichem Wachstumshormonmangel? (2019)

Im Rahmen einer gerichtlichen Auseinandersetzung war zu klären, ob stationäre Diagnostik bei einem Kind mit hypophysärem Minderwuchs indiziert war und ob die Krankenkasse die stationären Kosten ohne Abzüge zu zahlen hatte oder nicht. Das Gericht beauftragte ein pädiatrisches Gutachten, das zu folgendem Ergebnis gekommen ist:

„Im vorliegenden Fall ging es nicht nur um die Abklärung eines „einfachen“, d.h. isolierten hypophysären Minderwuchses, sondern es wurde ein Kind mit morphologisch im MRT fassbaren Fehlbildungen und Größenabweichungen der Hypophyse aufgenommen, bei dem zusätzlich Untergewicht, aktuelle Probleme mit der oralen Nahrungsaufnahme, Erbrechen im Säuglingsalter, Sehstörungen, neurologische okuläre Auffälligkeiten (Horizontalnystagmus und Schielen) sowie ein akuter Atemwegsinfekt vorgelegen haben. Da ein Teil der Hypophyse ektop liegt und ein anderer Teil als klein beschrieben wurde, mussten von vornherein mehr hormonelle Abklärungen erfolgen als bei Kindern ohne diese Fehlbildungen und Auffälligkeiten. Aufgrund des Untergewichts, der Probleme mit der Nahrungsaufnahme und der okulären neurologischen Symptome musste damit gerechnet werden, dass Nebenwirkungen der Stimulationsteste mit Clonidin und Arginin mit einer größeren Wahrscheinlichkeit und mit größerer Intensität auftreten als dies bei Kindern ohne diese Zusatzbefunde der Fall ist.“

Mit Bezug auf aktuelle Leitlinien, Lehrbücher und Publikationen konnte gutachterlich bestätigt werden, dass nachvollziehbare Gründe für die Notwendigkeit der stationären Diagnostik vorgelegen haben.